Kindergrundsicherung zur Gleichbehandlung aller Kinder
Ausgehend von verschiedenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hat das kindliche Existenzminimum eine hohe Bedeutung und ist ein zentraler Baustein im deutschen Familienlasten und leistungsausgleich.
[ weiterlesen ]
Allerdings kommt es durch verschiedene gesetzliche Regelungen und Schnittstel-len zu unterschiedlichen Höhen des kindlichen Existenzminimums im Sozial, Steuer und Unterhaltsrecht. Dies führt dazu, dass das kindliche Existenzminimum nicht für alle Kinder auch tatsächlich gedeckt ist. Daher fordern wir als einen ersten grundlegenden Schritt das kindliche soziokulturelle Existenzminimum im Hinblick auf die Frage, was ein Kind wirklich braucht, realitäts und bedarfsgerecht zu ermit-teln. Das neu ermittelte kindliche Existenzminimum muss auch den Bedarf für Bil-dung und Teilhabe einschließen, wenn dieser pauschalierbar ist und soll durch unser Modell der Kindergrundsicherung für alle Kinder gewährleistet werden.
Was uns dabei wichtig ist: Statt sich an den Ärmsten der Armen zu orientieren, müssen politisch Mindeststandards für eine ausreichende materielle Ausstattung und für soziale Teilhabe festgelegt werden. Die Gruppe, aus deren Ausgaben das Existenzminimum abgeleitet wird, muss ihren tatsächlichen Bedarf selbst decken können. Verdeckt Arme, aber auch Aufstocker*innen sind daher aus der Referenz-gruppe auszuschließen, Ausgabenpositionen dürfen nicht mehr willkürlich gestri-chen werden. Zudem braucht es einen Kontrollmechanismus, um zu prüfen, ob Teilhabe mit dem neu berechneten Existenzminimum tatsächlich möglich ist. Die Datengrundlage der Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) muss qualifi-ziert weiterentwickelt werden und unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen erfolgen, denn sie sind Expert*innen in eigener Sache.
Wir brauchen einen breiten, gesellschaftlichen Dialog wie eine Neuberechnung des Existenzminimums zukünftig ausgestaltet sein kann. Daher fordern wir eine Expertenkommission, unter Einbeziehung von Wissenschaftler*innen, Vertretern von Sozial- und Wohlfahrtsverbänden sowie Gewerkschaften und Betroffenenor-ganisationen, die darauf grundlegende Antworten findet.
Bis dahin stützen wir uns auf das verfassungsrechtlich notwendige steuerliche Existenzminimum, das alle zwei Jahre von der Bundesregierung im Existenzmini-mumbericht veröffentlicht wird. Aktuell beträgt die Höhe des verfassungsrechtlich notwendigen Existenzminimums 746 Euro monatlich.1 Sie setzt sich aus der Höhe des sächlichen Existenzminimums (502 Euro) und dem Freibetrag für die Betreu-ung und Erziehung bzw. Ausbildung (BEA) (244 Euro) zusammen. Dieses Exis-tenzminimum muss für alle Kinder gelten, nicht nur für diejenigen Kinder, deren Eltern Steuern zahlen können.
Unser Vorschlag lautet, künftig alle Kinder mit einer Kindergrundsicherung in Höhe von 746 Euro monatlich abzusichern. Damit wird der grundlegende Bedarf, den Kinder für ihre Entwicklung benötigen und den das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, aus öffentlichen Mitteln gedeckt. Die Höhe unserer Kindergrundsi-cherung orientiert sich dabei am aktuellen soziokulturellen Existenzminimum und soll stetig an die Inflationsrate angepasst werden.
Wir favorisieren eine gestufte Kindergrundsicherung, die allen Kindern das sächli-che Existenzminimum in Höhe von 502 Euro als unbürokratische Leistung garan-tiert. Bis der Staat sämtliche Leistungen für Bildung, Betreuung und Erziehung ge-bührenfrei zur Verfügung stellt, fordern wir den weiteren Betrag in Höhe von 244 Euro.
Um sie sozial gerecht bzw. entsprechend der finanziellen Leistungsfähigkeit der Eltern auszugestalten, soll sie langsam mit steigendem Einkommen abgeschmolzen werden. Im Ergebnis erhalten Kinder und ihre Familien den Mindestbetrag von ca. 354 Euro, der der maximalen Entlastung durch die derzeitigen Kinderfreibeträge entspricht. Je niedriger das Familieneinkommen ist, desto höher fällt der Betrag der Kindergrundsicherung aus. Familien ohne oder nur mit geringem Einkommen er-halten die gesamte Leistung in Höhe von 746 Euro.2
Die Kindergrundsicherung soll weitgehend vorrangig vor anderen Sozialleistungen sein, damit Kinder aus dem stigmatisierenden Bezug insbesondere von SGB II-Leistungen und der verdeckten Armut herausgeholt werden. Einige Transferbe-standteile, wie beispielsweise der kindbezogene Wohnkostenanteil, wird jedoch notwendiger Weise die Höhe der Kindergrundsicherung beeinflussen.
Unser Modell sieht vor, dass nur pauschal bemessene Transfers ersetzt werden sol-len. Für Sonder- oder Mehrbedarfe (atypische und einmalige Leistungen) im Falle behinderter oder kranker Kinder oder bei überdurchschnittlichen Wohnkosten, Um-zügen und Klassenreisen soll weiterhin der Grundsicherungsträger zuständig sein.
Die Leistung wird für alle Kinder und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr ge-währt. Junge Erwachsene, die sich über das 18. Lebensjahr hinaus in allgemeiner Schulbildung befinden, erhalten die Kindergrundsicherung weiter bis zum Ab-schluss ihres ersten Bildungsweges. Junge Erwachsene in Ausbildung oder im Studium erhalten analog zum Kindergeld bis zum 25. Lebensjahr den Mindestbe-trag der Kindergrundsicherung von ca. 354 Euro als Pauschale. Gleichzeitig bleibt der Anspruch auf BAföG und ähnliche Förderleistungen neben dem pauschalen Betrag der Kindergrundsicherung bestehen. Für die Phase im Übergang Schule-Beruf braucht es daneben eine eigene Grundsicherung für junge Menschen, um die aktuell oft schwierigen Übergänge besser abzufedern. Familien mit erwachse-nen Kindern mit Behinderung können den Mindestbetrag der Kindergrundsiche-rung auch über das 25. Lebensjahr des Kindes hinaus bekommen. Hierfür muss das erwachsene Kind wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behin-derung außerstande sein, seinen notwendigen Lebensbedarf mit eigenen Mitteln zu decken. Außerdem muss die Behinderung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein.
[ weniger anzeigen ]